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I. Atlantis
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Der Herr des Universums spannte Seinen Bogen und ließ Seine Pfeile auf die dreifache Stadt herniederfallen, verbrannte ihre Dämonen und schleuderte sie in den westlichen Ozean, zum Wohle der Schöpfung. Darauf dann zügelte der Dreiäugige Gott das Feuer, aus seinem eigenen Zorn entstanden, und sprach zu ihm: "Genug! laß die Welt nicht zu Asche werden!"
(aus dem indischen Mahabharata-Epos)
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Meine Erinnerung beginnt in Atlantis. An diese Zeit, die doch schon eine Weile her ist, habe ich allerdings nur sehr fragmentarische Erinnerungen - oder eigentlich Erinnerungsfetzen. Ganz sicher war ich auch dort mit den üblichen Verwirrungen und Verstrickungen, Lieb- und Leidenschaften verhaftet, aber das ist nicht das, was mir heute bewusst ist - wenngleich sicherlich vieles aus dieser Zeit und von noch früher auch heute noch nachwirkt.
Woran ich mich zunächst erinnere ist aber, dass wir damals den bisherigen Gipfel der menschlichen Entwicklung erreicht hatten. Sicher, wir hatten dort keine Computer. Wir brauchten auch keine.
Wir hatten es geschafft, unmittelbaren Zugang zur Kraft der Elemente zu finden. Mit Hilfe von verschiedenen Kristallen und der Macht unserer Gedanken bündelten wir die Urkräfte der Materie und machten damit, was wir wollten. Alles. Fliegen war noch das geringste. Das und Berge versetzen, setzte andere Stämme (der Ausdruck "Kulturen" wäre wohl übertrieben für die auswärtigen Barbaren) stets in besondere Aufregung.
Geraume Zeit, nachdem diese meine Erinnerungen wieder aufgetaucht waren, fand ich dazu folgende Beschreibung aus dem indischen Mahabharata-Epos (entstanden nach heutigen Meinungen vor ca 3.000 Jahren, in diesen Teilen aber wohl einige Tausende Jahre früher von Generation zu Generation überliefert; vermutlich nicht autorisierte deutsche Übersetzung der englischen Übersetzung von Ganguli, Bd III, Vana Parva, Abschnitt XLII):
Vaicampayana sprach: "Nachdem die Lokopalas verschwunden waren, begann Arjuna - der Töter aller Feinde - zu überlegen, Oh Herrscher des Vehikels von Indra! Und als Gudakeça, begabt mit großer Intelligenz, darüber nachdachte, kam das Vehikel, mit großem Glanz strahlend, gelenkt von Matali, die Wolken teilend und das Firmament erleuchtend und das Himmelsgewölbe erfüllend mit seinem Geknatter, tief wie das Getöse von mächtigen Wolkenmassen. Schwerter, und abscheuliche Dinge von furchtbarer Form, und Streitkolben von schrecklicher Art, und geflügelte Speere von himmlischer Pracht, und Blitze von hellstem Glanz, und Donnerschläge, und Tutagudas, ausgestattet mit Rädern und funktionierend durch atmosphärische Ausdehnung und laute Geräusche verursachend, wie das Geknatter von großen Wolkenmassen, waren auf dem Vehikel. Und dort waren außerdem auf dem Vehikel grimmige riesenhafte Nagas mit feurigen Mündern, und Unmengen von Steinen, weiß wie Cumuluswolken. Und das Vehikel wurde gezogen von zehntausenden Pferden goldenen Farbtons, verfügend über die Geschwindigkeit des Windes. Und ausgestattet mit der Fähigkeit zur Täuschung [Blendwerk], wurde das Vehikel mit solcher Geschwindigkeit gezogen, daß das Auge kaum noch sein Vorankommen mitverfolgen konnte. Und Arjuna sah auf dem Vehikel die Flagge, genannt Vaijayanta, in leuchtendem Glanz, dem Farbton des Edelsteins [Smaragd] ähnelnd oder dem des dunkelblauen Lotus, und ausstaffiert mit goldenen Ornamenten, und gerade wie der Bambus. Und er, der mächtig bewaffnete Sohn des Pritha, erblickte einen Wagenlenker, ausgeschmückt in Gold, auf dem Vehikel sitzend, das er als zu den Himmelsbewohnern gehörend ansah. [...]
Matali, der Wagenlenker des Cakra, Arjunas Worte hörend, bestieg dann sein Vehikel und kontrollierte die Pferde. [...] Arjuna, leuchtend wie die Sonne selbst,
stieg empor auf das himmlische Vehikel. Und der Kuru Prinz, begabt mit hoher Intelligenz, kreuzte mit frohem Herzen, auf dem himmlischen, wie die Sonne strahlenden Vehikel mit außergewöhnlicher Leistung, durch das Firmament. Und nachdem er unsichtbar für die Sterblichen der Erde geworden war, erblickte er tausende von Vehikeln außergewöhnlicher Schönheit."
Viel hat die Überlieferung nicht übertrieben, wenngleich die blumenreiche Sprache uns heute natürlich seltsam anmutet. Gottgleich waren wir. Nein, bloß mächtig wie Götter. Oder zumindest fast. Und in unserer Anmaßung fühlten wir uns wie Götter. Wir hatten die Fähigkeiten, aber nicht die Weisheit. So hoch wir aufgestiegen waren, so tief fielen wir dann. Die Dinge gerieten außer Kontrolle. Die von uns evozierten, aber nicht mehr beherrschbaren Kräfte brachen über uns zusammen und verschlangen unser Land. Ein sehenswertes Schauspiel, fürwahr. Ein solches Feuerwerk hatte die erkaltete Weltkugel nie zuvor und seitdem nie wieder gesehen. Dazu ein Gerumpel und Gepolter und Geschüttel, als ob Himmel und Erde miteinander kollidierten. Und das taten sie ja auch.
Staunen nur konnte ich, und staunend mich freuen. Mein Körper war nicht so wichtig. Ich würde ja einen neuen bekommen. Hätte ich freilich gewusst, dass ich zwar tatsächlich wiederkommen würde, es aber Tausende von Jahren und eine Hundertschaft von glücklichen oder unglücklichen, grausamen oder friedlichen, freud- und leidvollen, jedenfalls aber weitestgehend unbewussten Leben dauern würde, bis ich wieder auch nur einen Hauch von Erinnerung an das haben würde, was wir damals geschaffen und zerstört hatten, ich wäre vielleicht achtsamer mit meinen damaligen Zellenansammlungen umgegangenen.
Ob es etwas geholfen hätte, wer weiß? Es scheint allgemein, als ob das Wissen von damals - mit gutem Grund - gesperrt blieb und bleibt, bis die Menschheit die nötige Weisheit dafür entwickelt. Die gute alte Mutter Erde kann sich schließlich nicht jede Generation einen ihrer Kontinente in die Luft sprengen und ins Meer versenken lassen. So viele gibt es dann ja auch wieder nicht.
Jedenfalls, ich starb. In voller Schönheit. Geschlossen - oder fast - betrachteten wir das Schauspiel und gingen dann hinüber.
Nein - falsch, so planten wir das. So cool, gelassen und überirdisch wären wir gerne gewesen. Die Wirklichkeit ist viel menschlicher und banaler. Plötzlich riss überall um uns herum der Boden auf. Spalten taten sich auf und wurden immer mehr und mehr und größer und größer.
Wir rannten los - aber wohin? Es war überall dasselbe Theater - und wir fanden dieses Schauspiel auf einmal überhaupt nicht mehr schön und spannend, sondern waren nur noch in größter Panik um unsere Leben. Alles hätten wir in diesem Moment für eines unserer Fluggeräte oder Schiffe gegeben. Doch in diesem Chaos funktionierte einfach nichts mehr. Nach und nach wurden alle und alles von den sich auftuenden Erdspalten verschlungen.
Schließlich war ich allein - allein mit einer ziemlich wütenden Erde. Immer noch rannte ich - hierhin, ein Spalt tat sich auf und ich rannte dorthin. Schließlich gab es nur noch einen einzigen Abgrund auf allen Seiten. Der Boden schwand unter meinen Füßen und ich stürzte in ein wahrhaftiges Höllenfeuer. So heiß, so schnell und so gründlich wurde ich niemals wieder lebendig gegrillt und verbrannt, obgleich sich zu den verschiedensten Zeiten Menschen immer wieder größte Mühe in diese Richtung gaben.
Das Feuer hatte und hat aber keinen Schrecken für mich; es war und ist vielmehr immer nur Erlösung von dem, was sich jeweils davor ereignete. Und hier eben war das "davor" das unermessliche Grauen, das mich befiel, als mir buchstäblich überall der Boden unter den Füßen weggezogen wurde und die Erde mich verschlang. Bei dieser Erinnerung laufen mir heute noch kalte Schauer nicht nur über den Rücken, sondern den ganzen Körper.
Mit der Grillerei unserer Körper hatte dieses Grauen also sein Ende. Mit uns und unserem Land verbrannten und versanken aber auch unsere Erinnerungen tief unten im Grund des Seins.
Einige überlebten. Das weiß ich aber nur mehr aus den später erzählten Legenden. Ein bisschen unseres Wissens nahmen sie mit. Und überall auf der Welt begann eine neue Zivilisation, fast gleichzeitig. Schriften wurden entwickelt, Pyramiden gebaut, Kultstätten ungeheuerer Dimension errichtet, für die damalige sonstige Menschheit unvorstellbare Leistungen erbracht, die nur mit dem Restwissen unserer untergegangenen Kultur möglich waren, und deren Zweck auch nur mit diesem Wissen verständlich war.
Es half nichts. Einige Generationen lang wurden diese versprengten Wissensfragmente an Eingeweihte weitergegeben, da länger, dort kürzer. Aber es waren nur Reste, nicht mehr ein in sich geschlossenes System. In Wahrheit nutzlose Fragmente. Auch dieses Wissen versiegte, die Überreste gerieten schlichtweg nach und nach in Vergessenheit.
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