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XIV. Wien
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Ich hatte zum einen nicht wirklich darüber nachgedacht, zum anderen es auch durchaus für gut befunden, unser schönes Land gegen mögliche Eindringlinge erforderlichenfalls auch verteidigen zu können. Also hatte ich mich nicht zum Zivildienst gemeldet, sondern wurde zur army eingezogen.
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Unreifer Bub, der ich war, war ich jetzt also plötzlich Soldat. Ich musste auf die Kommandos inferiorer Charaktere hören, die nicht einmal wussten, was inferior bedeutet und für die Charakter ein Synonym für Kadaver war - für Kadavergehorsam nämlich. Den Sinn ihres Lebens erblickten sie darin, dass wir nach ihrer Pfeife und ihren Launen tanzen mussten - und meistens waren sie schlecht gelaunt, sehr schlecht. Es wäre nicht schwer gewesen, diesen Heinis zu zeigen, wo Gott wirklich wohnt, aber mein Hauptproblem war, ich befand mich unter lauter "Kameraden", die nahmen diese Typen ERNST.
Und sie glaubten, weil sie körperlich stärker als ich waren, könnten sie auf mir herum trampeln, weil ich in der Hackordnung viel tiefer stehen würde und sie bei irgendwem ja ihren Frust los werden mussten. Dieses Problem war allerdings mit zwei einfachen Maßnahmen schnell gelöst:
Zunächst trank ich sie unter den Tisch. Auch wenn ich nachher kotzte, aber ich ging ohne zu schwanken ins Bett und ich stand am nächsten Morgen aufrecht beim Appell, während sie umfielen wie die Fliegen. Dies lag wahrscheinlich daran, dass ich dies nur einmal machte, während diese zukunftsträchtigen Nachwuchskrieger allabendlich soffen wie die Löcher.
Und eines Abends, als einer der Rädelsführer dieser besoffenen Bande wieder einmal stänkerte, musste ich raufen und blieb siegreich. Er kam, nahm meinen Polster weg und wartete und wollte offensichtlich, dass ich zu betteln anfing. Als ich nicht daran dachte, trampelte er darauf herum. Ich nahm ohne ein Wort seinen Polster, obgleich mir durchaus davor grauste, und tat - gleichfalls ohne ein Wort - als ob ich darauf schlafen wollte. Das konnte er natürlich nicht zulassen. Aber letztlich ging ich mit seinem Kopfpolster schlafen und fortan war in dieser Hinsicht Ruhe.
Aber sie waren nicht davon abzubringen, den Möchtegernrambos mit ihren Sternen hörig zu sein. Auf so einem Pfadfinderlager etwa mussten wir nächtens Wache schieben. Es war November und dementsprechend kalt. Und irgendwie langweilig, weil naturgemäß weit und breit kein Feind in Sicht war - letzteres störte mich zwar nicht wirklich, ich sah aber auch keinen besonderen Sinn darin, in der Kälte zu stehen und auf nicht existente Feinde zu warten.
Da kam ein Zivilistenauto, welches wir pflichtgemäß anhielten. Heraus kam ein Bauer, der trotz unserer angeschlagenen Waffen freundlich meinte, wir täten ihm leid in dieser Kälte und er hätte uns was mitgebracht. Dazu gab er mir einen Karton Bier. Erfreut und gerührt bedankte ich mich. Mein tapferer Mitwächter hingegen hätte diesen Eingeborenen am liebsten sofort erschossen, weil er in militärisches Sperrgebiet eingedrungen war und ihn zudem von seiner Pflichterfüllung abzubringen versuchte.
Schließlich trank er doch mit mir, nicht ohne vor jedem Schluck ängstlich fünfmal in jede Richtung zu blicken, ob sich nicht hinter irgendeinem Busch ein General verstecken würde, um ihn jetzt zu verhaften. Dann kam tatsächlich so ein Wichtigtuer mit Stern, zwar nur einer, also nur ein halbes Fußbreit über uns, aber so ein Hundertfünfzigprozentiger, der demnächst UNO-Soldat am Golan werden sollte.
Ich fragte ihn freundlich, ob er ein Bier wolle. Er plusterte sich auf, seit wann wir per du wären und woher ich Alkohol hätte und überhaupt. Ich meinte, wenn er mit mir Bier trinken wolle, müsste er sich schon auch duzen lassen und er solle sich doch bitte nicht so aufspielen. Eine Weile gebärdete er sich noch, bis ich ihm meine Hände entgegenstreckte und ihm sagte, er solle mich jetzt verhaften oder mit mir trinken, aber sein Tamtam wäre langsam langweilig. Er entschied sich für die zweite Variante. (Das soll jetzt nicht so aussehen, als hätte ich die Wehrkraft unserer wackeren UNO-Krieger vorsätzlich mit Alkohol zersetzt; ich wusste nur zu gut, dass er viel und gerne und auch "im Dienst" trank, aber seine lächerlichen Versuche, die Hackordnung zu bewahren, gingen mir auf die Nerven.)
Warum ich dies erzähle, ist aber hauptsächlich deshalb, weil mein "Kamerad" bei dieser Debatte am liebsten in Grund und Boden versunken wäre, seine gerade beginnende hoffnungsfrohe Karriere als künftiger General viel zu früh beendet sah, und vermutlich nahe daran war, seine Hose von innen zu befeuchten. Erst als der Möchtegernhäuptling einlenkte, war er dann plötzlich auch wieder live dabei.
Derlei Jungenspielchen waren allerdings der seltene und abwechslungsreiche Teil meiner militärischen Laufbahn. Die meiste Zeit verbrachte ich damit, Kasernenfenster zu putzen und Wurstsemmeln zu schneiden. Und hier zeigten sich schnell die wahren Differenzen zwischen mir und meinen "Kameraden": Ich hatte schnell herausgefunden, dass es den Oberschackeln überhaupt nicht auf saubere Kasernenfenster ankam, sondern dass sie nur irgend eine Beschäftigung für uns finden mussten, weil der Staat zwar der Meinung war, dass wir acht Monate lang ausgebildet werden sollten, für eine tatsächliche militärische Ausbildung aber offenbar kein Geld vorhanden war.
Und wenn wir daher die Fenster zu schnell putzten, mussten wir sie nächste Woche schon wieder reinigen, egal ob sie schmutzig waren oder nicht. Und so sehe ich mich als eigentlicher Erfinder der slow motion und konnte etwa einen halben Tag lang mit dem Putzen eines einzigen Fensters verbringen.
Dies wiederum missfiel meinen Mitgefangenen, die glaubten, sie selbst müssten deshalb mehr arbeiten und sich partout nicht von dieser im allgemeinen Wirtschaftsleben normalen, hier aber mehr als verqueren Idee abbringen ließen. Die negativen Erlebnisse, die dann folgten, habe ich nicht die geringste Lust, auch noch öffentlich auszubreiten. Aber es war jedenfalls alles andere als erfreulich.
So sah ich keine Zukunft mehr bei diesem Verein. Und dann war da noch dieser Militärpfarrer, der geifernd predigte, dass das fünfte Gebot natürlich seine Berechtigung hätte, es aber ganz etwas anderes wäre, wenn Vorgesetzte einem befehlen würden, andere zu erschießen. So nach dem Motto: "Euer Evangelium ist der Befehl des Majors!" Ich glaube mich zu erinnern, dass er sogar eine Uniform mit gar vielen Sternen an hatte. Aber Pfarrer war er ganz gewiss, das ist kein Scherz.
Eine ordinäre Erkältung kam mir schließlich zur Hilfe. Ich bekam Fieber, wurde ins Militärhospital gebracht und bekam wider alle medizinische Vernunft irgendwelche Antibiotika. Ich sah meine Chance, nahm dieses Zeug zwei Tage, dann nur noch in unregelmäßigen Abständen und warf den Rest aus dem Fenster hinaus.
Nach etwa einer Woche wurde ich entlassen. Am ersten freien Wochenende wusch ich mir die Haare und spazierte mit nassen solchen durch den ersten Schneefall des Jahres. Wenig überraschend bekam ich wieder Fieber und im Spital probierte man - kreativ wie Militaristen, mögen sie auch Mediziner sein, nun einmal sind - einfach mehr von dem, was sich bereits einmal als uneffektiv erwiesen hatte. Ich bekam also das gleiche Antibiotikum in höherer Dosierung und wurde nicht gesund. Sie gingen dazu über, mir das Gift zu spritzen. Nach einiger Zeit sah ich aus wie ein Junkie, aber gesund wurde ich nicht.
Es kam ein Psychiater, der mir überraschenderweise nicht im Arsch herumwühlte (es war auch ganz ein anderer als seinerzeit, aber halt von dieser seltsamen Zunft), sondern bloß mein Knie behämmerte, aber gesund machte mich auch das nicht. Nach einigen Wochen nahte Weihnachten und ich äußerte den Wunsch, die Feiertage daheim zu verbringen. Der Doktor meinte noch am 22. Dezember, dass dies mit meinem hohen Fieber unter keinen Umständen möglich wäre. Am 23. Dezember war ich fieberfrei und am Weihnachtstag wurde ich aus dem Krankenhaus entlassen. Anlässlich einer Kontrolle nach den Feiertagen sagte mir der Doktor, dass meine Krankheit wohl psychische Ursachen haben müsste und fragte nach meinen Problemen. Ich erwiderte, dass mir das Krankenhaus erheblich besser als die Kaserne gefallen würde und wir uns daher wohl noch öfter sehen würden. Er nahm den Telefonhörer, rief seinen psychiatrischen Kollegen an und sagte: "Da ist einer, der muss raus."
Diesmal kam er ohne Hammer. Ich musste nur einen Fragebogen ausfüllen, antwortete wahrheitsgemäß, dass ich schon mal an Selbstmord gedacht hatte, und das war es dann, meine dreimonatige Kriegerkarriere.
In einem Heer von Geisteskranken als geisteskrank entlassen zu werden - gibt es eine größere Auszeichnung? Das einzige, was meinen vollkommenen Triumph leicht schmälerte, war der Umstand, dass ich es auch hier nur durch die Macht der Krankheit, nicht aber durch aktives Handeln geschafft hatte. Aber auch dieser Makel sollte relativ bald bereinigt werden.
Endlich wieder in Freiheit, zerriss ich mein Gelöbnis, erforderlichenfalls auf Befehl zu töten, und hängte die Fetzen auf mein gleichzeitig mit einem großen Peace-Zeichen bemaltes Auto. Mein überaus ehrenwerter und von mir immer geliebter und hoch geachteter Großvater, dem ich einen Gutteil der Fragmente meiner humanistischen Bildung verdanke, war ernsthaft schockiert. Er selbst hatte sein restliches Leben darunter gelitten, in unseligen Zeiten überhaupt ein Gelöbnis geleistet zu haben. Wie könnte man einen in dieser Zeit und noch dazu freiwillig geleisteten Eid öffentlich brechen und auch noch stolz darauf sein, fragte er. "Ein Gelöbnis, dass man mir nur durch Androhung von Gefängnisstrafe abgepresst hat, gilt nicht.", antwortete ich und damit war das Thema für mich erledigt. Für ihn nicht, er setzte sich nie wieder in dieses Auto. Da er aber weiter mit mir gesprochen hat, war dies nicht ganz so schlimm.
Um des Erzählflusses willen muss ich jetzt die zeitliche Kontinuität dieser Geschichte durchbrechen und einige Jahre vorgreifen:
Ich war nämlich zunächst nur für zwei Jahre vom weiteren Militärdienst freigestellt worden. Als nach zwei Jahren nichts passierte, dachte ich schon, sie hätten mich vergessen und war nicht wirklich unglücklich darüber. Dann aber wurde ich doch noch zu einer neuen Musterung geladen und wusste sofort: Jetzt oder nie habe ich die Chance, dieses Thema endgültig abzuschließen.
Ich war bestellt für 7:00 Uhr morgens, eine Zeit zu der ich in jenen Jahren vielleicht manchmal zu Bett ging, ansonsten aber noch lange nicht munter zu sein pflegte. Ich hatte durchaus gehörigen Respekt vor der Obrigkeit und überlegte reiflich und ernsthaft, wie viel Zeit ich hätte, bevor die Militärpolizei mich holen würde. Eher vorsichtig gestimmt, beschloss ich, gegen 10:00 Uhr in der Kaserne zu erscheinen. Es wurde etwa 10:30 Uhr und dem Jungen am Tor fielen fast die Augen aus dem Kopf, als ich ihm meinen Befehl zeigte und meinte, ich hätte mich ein bisschen verspätet. "Ein bisschen ist gut!", meinte er schließlich Luft schnappend und brachte mich zu seinem Kommandanten. Der tat das einzige, was er je wirklich gelernt hatte und worauf ich mich hier und jetzt hinreichend vorbereitet hatte: Er fing an, zu brüllen. Wenn man wo zu einer bestimmten Zeit zu sein hat, dann hat man dort zu sein, und was ich mir einbilden würde, und die ganze Litanei halt. Ich grinste ihn an, so freundlich ich konnte, und ich war damals ja auch voller love & peace und daher sehr freundlich, und fragte ihn, was ich denn tun solle, wenn mein Wecker nicht geläutet habe und ob ich jetzt wieder gehen solle. Das wollte er denn doch auch nicht, und herrschte mich an, draußen Platz zu nehmen.
Ich musste gar nicht so lange warten, wie man es sonst bei diesem Verein gewohnt ist - wahrscheinlich war die Zeit meines Erscheinens genau richtig gewesen und sie wussten es nur nicht, als ich zum Psychiater gerufen wurde. Ob ich jetzt meine restliche Dienstzeit absolvieren wolle und könne, fragte er mich. Nein, antwortete ich. Ja, was ich mir denn dann vorstelle? "Ich mache Zivildienst." "Den bekommen Sie nicht, wenn sie schon einmal beim Heer waren." (Damals gab es noch diese unsägliche Kommission, die feststellen musste, ob jemand aus Gewissensgründen oder nur so nicht töten wollte.)
"Gut", meinte ich, "aber eines sage ich Ihnen gleich jetzt: entweder ich schaffe es, dass diese ganze Kompanie, in die Sie mich stecken wollen, unbrauchbar wird, oder ich gehe drauf bei diesem Verein. Wollen Sie das wirklich?"
Es scheint, ich habe ihn überzeugt. Ich wurde jedenfalls wenig später (die Zeit war wirklich absolut perfekt) zur Kommission hinein gebeten (die andere, nicht die zur Gewissensprüfung, sondern die, die prüft, ob ich geeignet bin, zu töten oder nicht). Der Vorsitzende nahm einen Stempel, knallte ihn mit all seiner Macht auf ein Papier und sagte "Untauglich!" und übergab mir meine Absolution. Ich sagte brav "Danke", sammelte wieder all meine Liebe und schaute ihn freundlich an. Er blickte nämlich recht griesgrämig. So ging das eine Weile, dann meinte er ebenso unhold, wie er drein blickte, "Ist erledigt. Sie können gehen!"
Ich schaute ihn weiter möglichst freundlich an und wartete, ob das jetzt sein üblicher Abschiedsgruß gewesen war, oder ob da noch etwas käme. Schließlich erbarmte ich mich seiner und ehrlich gesagt war mir diese Kasernenatmosphäre auch schon etwas anstrengend, und so machte ich halt den Anfang und sagte so sanft und freundlich wie möglich: "Auf Wiedersehen." Nachdem er begriffen hatte, dass er mich anders gewaltfrei nicht los würde und ihm der Anlass wohl auch nicht wirklich wichtig genug war, da jetzt einen Weltkrieg vom Zaum zu brechen, fauchte er schließlich auch "Wiedersehen" und ich geruhte, die Höhle des Löwen als uneingeschränkter Sieger zu verlassen.
Ich hatte es letztlich ohne Fieber geschafft und ich habe es schwarz auf weiß, dass ich nicht geeignet bin, zu töten. Mögen die Herrschaften es sich über die Leben hinweg merken.
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